Zu schön

Ein klares Konzept. Es fährt durch die Landschaft, ohne sich umzusehen und organisiert die Dinge rund um sich. Alles muss perfekt sein, alles muss harmonieren. Die Sonne muss scheinen, die Berge vor Glück schreien, und die Kühe haben als geduldige Dekorationselemente in der Landschaft herumzustehen.

Alle Wege führen zum Hotel, jede Mistgabel weist dorthin. Und – angekommen – beantwortet die Frage nach dem Sinn des Ganzen der überdeutliche Hinweis auf ein Kreditkartenunternehmen. Verdammte verlogene heile Welt, die dich nicht loslassen will!

Du checkst ein, durchquerst die fein-bäuerlich zu Tode stilisierte Stube, steigst über marmorne Steinstufen, stehst voll Entsetzen in deinem Zimmer, das wiederum aussieht wie ein Abklatsch der Stube, nur viel billiger. Wie sollst du hier atmen? Du starrst durch das verzogene Holzfenster des seltsam dunklen Raumes in die schreiend helle Landschaft und wirst depressiv. Nur ein Anflug, aber der reicht. Die halb ausgepackten Koffer ins Eck geschmissen und hinaus!

Der Hofhund wundert sich. Du ignorierst ihn. Kein Mensch unterwegs, den du ignorieren könntest. Du schließt die Augen und atmest Kuhdung. So weit alles in Ordnung. Du darfst nur die Augen nicht mehr öffnen. Du tust es trotzdem. Es hat sich nichts verändert!

Blumenwiese vor, hinter und neben dir. Unaufdringliche Ästhetik, die neuen Hass in dir weckt. Wie gut, dass du bemerkst: Die Blumen in der Wiese sind zu vielt und in ihrer Schönheit doch allein. Du schmeißt dich bäuchlings in die Wiese. In der Wiese versteckt liegen Steine. Wenigstens der Schmerz ist noch echt. Du stehst auf, putzt dich ab, gehst weiter. Den Weg haben sie auf extra dreckig hergerichtet, denkst du. Gehört zum All-inclusive-Landurlaub dazu. Die Gäste sollen einmal das Gefühl so richtig kotiger, schwerer Schuhe an ihren Füßen bekommen.

Du holst die Kamera heraus, wählst einen gefälligen Bildausschnitt und drückst mechanisch ab, mehrmals, bis zum Überdruss. Wie wenn du im Restaurant zum Kellner sagst: „Können Sie’s einpacken?“, wenn du das Schöne am Tisch über hast. Zu Hause wird dann das Essen in der Folie ver-derben, die Bilder werden vernichtet werden. Das Schicksal allen Mittelmaßes, zu dem auch das gewesene Höchstmaß wird. Du stellst fest: Nichts, wirklich nichts, kann dem Vergleich mit dem augenblicklichen Erleben dieser Landschaft standhalten. Und deine Laune hat sich diesem Wettbewerb offenbar erst gar nicht gestellt.

Letzte Wegbiegung, letzte Sonnenstrahlen. Auch das noch – ein Rundweg. Das Ziel ist der Anfang und alles umsonst. Da kommt dir eine junge Frau im Dirndl entgegen. Eine Schönheit in ihrer sommersprossigen Nicht-Perfektion. Unprätentiös, authentisch und stimmig. Ihr Lächeln lässt es warm rieseln in dir. Doch zu schön. Du schaust näher hin. Ordinär tiefer Ausschnitt, mit dem zu offensichtlichen Ziel geschneidert, deine Blicke zu fangen. Du schauderst.

Wenn es finster wird und du die entsetzliche Schönheit rund um dich nicht mehr wahrnehmen kannst, wird sie dich womöglich noch im Traum heimsuchen. Und du wirst weinen, wenn du an morgen denkst.

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